Geschichte Kosovokrieg 1999
„Der Pilot sah die glutrote Explosion“
Mit einem Luftkampf zwischen niederländischen und serbischen Jägern begann am 24. März 1999 der Kosovokrieg. Es war eine ziemlich einseitige Sache, wie die gesamte „Operation Allied Force“.
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Johann Althaus
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Krieg ist nicht fair, niemals. Mit mehr als 1000 modernen Flugzeugen einen Gegner anzugreifen, der nur 14 annähernd vergleichbare Maschinen hat, ist denkbar unfair. Denn das Ergebnis ist absehbar.
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Es begann am Abend des 24. März 1999 gegen 19:30 Uhr. Weit über 100 Düsenjets verschiedener Nato-Staaten waren gestartet, um durch gezielte Luftschläge das militärische Potenzial des noch als „Jugoslawien“ firmierenden Staates Serbien zu dezimieren. Mit der „Operation Allied Force“ sollte der befürchtete Genozid in der abtrünnigen Südprovinz Kosovo beendet werden.
Zu den Maschinen zählte eine Vierergruppe niederländischer F-16. Sie hatten nach dem Start von der Amendola Air Base in Italien über der Adria ihre Tanks aufgefüllt und überflogen dann Albanien, bevor sie in serbischen Luftraum eindrangen. Die Aufgabe der bis zu 2000 Stundenkilometer schnellen Mehrzweckkampfflugzeuge war es, anderen Nato-Maschinen Geleitschutz zu geben.
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Gerade als die niederländischen Piloten die Grenze überflogen, informierte sie ein Awacs-Radaraufklärer, dass nahe Belgrad drei gegnerische Maschinen gestartet seien. Es handelte sich um den Fliegerhorst Batajnica, den Standort der einzigen mit modernen Jagdflugzeugen ausgestatteten Einheit der serbischen Luftwaffe.
Diese 127. Abfangstaffel mit den Beinamen „Vitezovi“ („Ritter“) verfügte über 14 Maschinen des russischen Typs MiG-29. Noch die Sowjetunion hatte die Jäger 1987 an das damalige Jugoslawien geliefert. Es handelte sich um gefährliche Gegner, auch für F-16.
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Doch die niederländischen Piloten waren im Vorteil: Sie wussten dank des Awacs-Aufklärers frühzeitig von der bevorstehenden Konfrontation. Alle vier F-16 schalteten ihre Radargeräte ein und erfassten die anfliegenden Gegner sofort. Am äußersten Rand der Reichweite feuerte der Führungsflieger eine Lenkwaffe vom Typ Amraam ab.
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Die Rakete mit einer enormen Beschleunigung und einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 4000 Stundenkilometern schoss auf die erste serbische MiG zu. Ein halbe Minute später explodierte ihr Sprengkopf in der Nähe des anvisierten Gegners – zu diesem Zeitpunkt lagen noch 18 Kilometer zwischen den F-16 und der serbischen Gruppe.
„Ein unmittelbarer Treffer nach 30 Sekunden“, berichtete Oberstleutnant Jon Abma von der Koninklijke Luchtmacht, der niederländischen Luftwaffe: „Der Pilot sah die glutrote Explosion.“ Es war der erste Abschuss eines niederländischen Jagdfliegers seit Jahrzehnten.
Im selben Moment gab die Awacs-Maschine durch, dass die beiden anderen MiGs vom Radar verschwunden seien. „Wir haben die anderen MiG-29 niemals gesehen“, sagte Abma. Eine Rotte amerikanischer Luftüberlegenheitsjäger vom Typ F-15 hatte beide Maschinen abgeschossen. Auch sie waren durch das Frühwarnflugzeug der Nato im Vorteil gegenüber den Serben.
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Zwei weitere MiG-29 wurden in derselben Nacht so schwer beschädigt, dass sie nicht mehr einsatzfähig waren. In den folgenden Tagen wurden noch einmal fünf serbische Jäger ab- oder fluguntauglich geschossen; die vier verbliebenen starteten lieber nicht mehr – sie hätten in dem unfairen Kampf gegen eine ungeheure zahlenmäßige Übermacht, die zudem frühzeitig und bestens informiert war, keine Chance gehabt.
So konnten die Kampfflugzeuge aus fünf Nato-Staaten, neben den Niederlanden und den USA auch aus Deutschland, Großbritannien und Italien, in den folgenden Wochen nahezu ungehindert die Bodenziele angreifen: Einrichtungen der serbischen Armee, das Hauptgebäude des serbischen Rundfunks, das Verteidigungsministerium in Belgrad und zahlreiche Brücken.
Die Verluste der Nato waren gering: Zwei Jets wurden abgeschossen, darunter mehr zufällig einer der besonders gefürchteten US-Tarnkappenbomber vom Typ F-117; alle Insassen konnten sich mit dem Schleudersitz retten und wurden gerettet. Zwei Nato-Soldaten kamen bei einem Hubschrauberabsturz aus technischen Gründen ums Leben.
Die serbische Armee büßte zwischen 950 und 1200 Mann ein, die Luftwaffe verlor neben den zehn MiG-29 mehr als 100 weitere Maschinen, die meist auf ihren Stützpunkten zerstört wurden. Außerdem verfeuerten die Serben mehr als 700 Boden-Luft-Raketen.
Bis heute stehen seinerzeit schwer getroffene Gebäude als Mahnmal der Niederlage in Belgrad, darunter das Verteidigungsmuseum und das Haus des Rundfunks. Die Trümmer der abgeschossenen F-117 werden als Trophäen im Militärmuseum gezeigt.
Auch zwei Jahrzehnte später ist umstritten, inwieweit dieser Kampfeinsatz der Nato, für den es kein UN-Mandat gab, rechtmäßig war. Fest steht: Den „Hufeisenplan“ für einen angeblich geplanten Genozid an Kosovo-Albanern hat es nie gegeben. Es handelte sich um ein Gerücht. Dennoch dürfte es ohne das Eingreifen der Nato weitere Massaker gegeben haben, wie sie auch schon im Bosnien-Krieg von serbischen Truppen verübt worden waren.
Unklar ist auch die Zahl der serbischen Zivilisten, die bei den 78 Tage währenden Kämpfen getötet wurden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die den Kampfeinsatz verurteilte, kam auf eine Zahl von 489 bis 528 zivilen Opfer der Nato-Angriffe bei 90 verschiedenen Einsätzen, davon die Hälfte im Kosovo. Die serbische Regierung hingegen gab bei verschiedenen Gelegenheiten 1200 bis 5700 Opfer an. Allein die enorme Spanne zeigt, dass diese Werte fragwürdig waren.
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